Von der Wertermittlung zur Wertschätzung bäuerlicher Tätigkeit

Wie können landwirtschaftliche Betriebe nachhaltig arbeiten und gleichzeitig rentabel wirtschaften? Mehr Wertschätzung für die Landwirtschaftliche Arbeit durch Richtig rechnen

Wie können landwirtschaftliche Betriebe nachhaltig arbeiten und gleichzeitig rentabel wirtschaften? Diese Frage mobilisiert derzeit viele, denn zwischen dem realen Preisdruck in der
Lebensmittelbranche einerseits und berechtigten Forderungen nach sozialen, ökologischen und regionalökonomischen Leistungen andererseits besteht ein Spannungsfeld, das sich zu einer gesellschaftspolitischen Kontroverse von enormem Ausmass aufgebaut hat.

Das «immer mehr und immer billiger» im Hinblick auf Lebensmittel hat Schäden hinterlassen, die nicht mehr geleugnet werden können. Abnehmende Humusgehalte, Rückgang der Artenvielfalt, zu hohe Nitratauswaschungen, antibiotikaresistente Keime
in Gewässern, abkoppeln von Quellen vom Trinkwassernetz wegen zu hoher Pestizid- und Pestizidabbaustoffbelastungen sind Beispiele dafür, welche Kosten und Risiken bisher
nicht in den Bilanzen der Verursacher abgebildet werden.

Das Gleiche gilt auch für die erbrachten Mehrwerte, die von Landwirtinnen und Landwirten zwar erbracht, aber bislang in der betrieblichen Buchhaltung nur im Aufwand aber nicht auf der Ertragsseite in Erscheinung treten. Es wird im Zusammenhang dieser Kontroverse viel von ‹Wertschätzung› gegenüber den Lebensmitteln und der Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte gesprochen. Ein durchaus richtiger Ansatz, doch wie kann ‹Wertschätzung› praktisch bewerkstelligt werden, wenn der betrieblichen Erfolgsrechnung die dafür erforderliche Sensibilität fehlt, das heisst, wenn die Werkzeuge fehlen, die erbrachten Leistungen und auch die Verluste in realistischer Weise zu bewerten und in der Erfolgsrechnung abzubilden? Man kann noch so viel Wertschätzung einfordern; am Ende ist entscheidend, wie betriebswirtschaftlicher Erfolg bemessen und errechnet wird.

Solange das Anreizsystem von der maximalen Externalisierung ökologischer und sozialer Risiken, Schäden und Verluste ausgeht, wird sich selbst durch höhere Preise nicht viel ändern; im Gegenteil, die Übernutzung wird sich eher noch beschleunigen.

Es geht also um eine Korrektur der Anreize innerhalb der landwirtschaftlichen Produktion, um den Landwirtinnen und Landwirten den Weg zu einem Richtungswechsel in Richtung nachhaltigem Wirtschaften zu ebnen. Die Anpassung der Erfolgsrechnung, sprich der betrieblichen Buchhaltung und Bilanzierung an die Erfordernisse der Zeit und an die Realität ist die einzige Möglichkeit für eine Befriedung der Situation im Sozialen wie auch gegenüber der Umwelt und Natur.

 

Leistungen sichtbar machen
und kommunizieren

Den landwirtschaftlichen Betrieben müssen Instrumente und Methoden zur Werteermittlung an die Hand gegeben werden, die ihnen ermöglichen, ihre Leistungen für nachhaltiges Wirtschaften sich selbst und der Gesellschaft aufzuzeigen. Die Betriebsleiter müssen lernen, ihre geschaffenen Werte und Leistungen, aber auch Risiken und Schäden zunächst ins eigene Bewusstsein zu heben, dann in die betriebliche Abstraktion aufzunehmen, um schliesslich ihre tatsächlich geschaffenen Werte an die Marktpartner und letztlich an die Gesellschaft heranzutragen und kommunizieren zu können. Das ist die Voraussetzung für eine erfolgsversprechende Einforderung der Wertschätzung und eine leistungsgerechte Bezahlung. Nachhaltiges sowie auch nicht-nachhaltiges Wirtschaften muss sich im betriebswirtschaftlichen Zahlenwerk abbilden, denn wie bekannt, ist das betriebswirtschaftliche Ergebnis von durchschlagender Wichtigkeit bei der Kapitalbeschaffung, der Preisbildung und des gerechten Einkommens der Landwirte und ihrer Familien.

BFF Magazin RichtigRechnen Illu 021220 2 Bearbeitet

Spezifische Bedingungen
der Agrarwirtschaft

Die Bedingungen der Agrarwirtschaft unterscheiden sich grundsätzlich von der Ökonomie anderer Branchen. Im Handelsbetrieb kommt es im Wesentlichen darauf an, Waren einzukaufen und sie ohne weitere Verarbeitung mit wohlkalkulierten Aufschlägen auf den Einkaufspreis wieder zu verkaufen, in der Industrie ist die Stufe der Veredelung von zugekauften Rohprodukten ein zu kalkulierender Posten.

In der Landwirtschaft findet bei der Beschaffung vieler Produktionsmittel vielfach kein Einkauf, sondern die wiederkehrende Nutzung der natürlichen Ressourcen statt. Die Eigenart dieser Ressourcen ist, dass sie den Gesetzmässigkeiten des Lebendigen unterliegen. Das bedeutet, dass sie zwar grundsätzlich unerschöpflich sind, aber nur, wenn diese Gesetzmässigkeiten des Lebendigen bei der landwirtschaftlichen Produktion ausreichend berücksichtigt werden. Eine andauernde Nutzung entgegen dieser Gesetzmässigkeiten und ohne Phasen der Regeneration und des Aufbaus führt dazu, dass deren Leistungsfähigkeit kontinuierlich abnimmt. In der Bilanz werden die natürlichen Ressourcen des Produktionsstandortes wie die Fruchtbarkeit der Böden, die Erhaltung der Artenvielfalt oder die Reproduktionsfähigkeit der Nutzpflanzensorten momentan in keiner Weise berücksichtigt bzw. sie werden gleich null gesetzt, obwohl sie zum Wirtschaftskapital eines landwirtschaftlichen Betriebes zu zählen sind. Die gegenwärtige Erfolgsrechnung mit ihren Methoden und Instrumenten ist somit klar unzureichend, weil sie die spezifischen Bedingungen der Agrarwirtschaft nicht berücksichtigt und daher zu ungenauen, in vielerlei Hinsicht auch zu falschen Ergebnissen führt.

 

Das Projekt «Richtig Rechnen»
in der Landwirtschaft

Die Regionalwert AG Freiburg führte in den vergangenen Jahren verschiedene Projekte zur Ausarbeitung von Methoden und Instrumenten zur Erfassung, Bewertung und Bilanzierung von sozialen, ökologischen und regionalwirtschaftlichen Leistungen in der Landwirtschaft durch. Im Projekt «Richtig Rechnen in der Landwirtschaft» wurden vier Betriebe aus der Region Freiburg über ein Geschäftsjahr erfasst und bewertet. Es waren drei Demeterbetriebe unterschiedlicher Ausrichtungen und ein konventioneller Gemüsebaubetrieb dabei.

Im Erfassungsinstrument, das von den Betriebsleitern ausgefüllt wird, sind die Eingabewerte klar definiert, damit die Daten richtig erfasst werden und somit vergleichbar und bewertbar sind.

Die Auswertungen ergaben jeweils die Summe der monetarisierten Nachhaltigkeitsleistungen der vier am Projekt beteiligten Betriebe und die Anteile an den erfassten Leistungen in den verschiedenen Kategorien (Fachwissen, Gesellschaftliches Engagement, Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Tierwohl, Wirtschaftliche Souveränität, Regionale Wirtschaftskreisläufe, soziale Verantwortungsübernahme u.a.).

Die konventionelle Gemüse-Gärtnerei hat bei einem Gesamtumsatz von ca. 600.000 € insgesamt Mehrwerte von 22.184 € in den oben genannten Bereichen geschaffen. Davon gehen 29% auf die Kategorie «Wirtschaftliche Souveränität» zurück, das heisst für die Leistungskennzahlen in dieser Kategorie wurde ein Mehrwert von 6.433 € berechnet . Der Grund für diesen Mehrwert liegt in seiner vielfältigen Lieferanten- und Kundenstruktur und weil er alle seine Produkte in der Region vermarktet. Da der Betrieb ein breites Spektrum an Gemüsearten anbaut und Blühstreifen anlegt, schneidet er bei Biodiversität mit 31% und 6.877 € ebenfalls relativ gut ab.

SchemaVorgehensw

Der Demeter-Gemüsebaubetrieb erbrachte Nachhaltigkeitsleistungen in Höhe von 69.734 € nach der ‹Richtig rechnen-Methode› und damit ca. 15% Mehrwert auf seinen Gesamtumsatz. Dieser Betrieb zeichnet sich in vielen Bereichen gleichmässig stark aus. Der Erhalt von Fachwissen, der Anbau samenfester Sorten und ein hoher Anteil an Direktvermarktung sind besondere Merkmale.

Der biologisch-dynamisch arbeitende Obstbetrieb mit zusätzlichem Gemüseanbau und Legehennenhaltung schafft einen Nachhaltigkeitsmehrwert von ca. 156.000 €,
das etwa 8,5% seines Gesamtumsatzes entspricht. Seine sozial-ökologischen Leistungen sind in den Bereichen Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität besonders stark.

Der Gemischtbetrieb ist ein Demeter-Hof im südlichen Schwarzwald, der seit Jahrzehnten ganzheitlich wirtschaftet und entgegen aller Spezialisierungstendenzen den landwirtschaftlichen Organismus praktiziert. Würden seine sozial-ökologischen Leistungen in Höhe von 155.332 € vergütet werden, entsprächen sie knapp 18% seines Jahresumsatzes und gut 40% seines Umsatzes aus eigener Produktion (inkl. sozial-ökologischen Leistungen).

Die Ergebnisse der vier Projektbetriebe zeigen, dass wenn ein Betrieb viele sozial-ökologische Leistungen erbringt, sich dies auch in der monetären Bewertung nach ‹Richtig rechnen› wiederfindet. Für alle vier Betriebe zusammen wurde 403.348 € an Mehrwerten errechnet, was im Durchschnitt 10,2% am kumulierten Gesamtumsatz der vier Betriebe ausmacht – bzw. 12,5% am Umsatz aus Eigenproduktion, das heisst ohne Zukauf von Handelsware.

 

Wie geht es weiter?

Aus den Projekten sind bisher zwei Instrumente entstanden – die Regionalwert Nachhaltigkeitsanalyse und der Regionalwert Leistungsrechner. Während die Analyse dem Betrieb sein Wirtschaften in Bezug auf soziale, ökologische und regionalökonomische Leistungen und Risiken in fünf Stufen auswertet, rechnet der Regionalwert-Leistungsrechner sämtliche erfassten Leistungen in Geldwerte um. Beide sind auf der Internetseite www.regionalwert-leistungen.de durchführbar.

Eine offene Frage bleibt noch, woher das Geld, das die Betriebe zur Finanzierung des Aufwands für die Schaffung des Mehrwertes brauchen, kommen könnte. Hierzu gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, deren Ausarbeitung nicht Gegenstand des Projektes war, die aber in nachfolgenden Projektschritten angegangen werden sollen.

Perspektivisch lassen sich grob folgende Varianten aufzeigen:

 

a) Ausgleich über Zahlungen aus öffentlichen und privaten Geldern, dabei könnten Einzahlungen für Schäden und Risiken den Auszahlungen für Leistungen gegenüberstehen, oder es werden die Ausgleichszahlungen für eine leistungsorientierte Vergütung verwendet.

 

b) Neukalkulation der Produktpreise auf Basis der Bewertung von Leistungen und Risiken zur Nachhaltigkeit.

 

c) Über Zuschreibungen, Abschreibungen und Risiko-
rückstellungen in der Bilanz mit ihrem langfristigen korrigierenden Einfluss auf die Unternehmenssteuerung und schliesslich.

 

d) Eine spezifische Berücksichtigung bei der steuerlichen Taxierung des sozial-ökologischen Betriebsergebnisses.

 

Zur Validierung der errechneten Zahlen und zur Verbreitung der Methoden und Instrumente plant die Regionalwert AG Freiburg weitere Entwicklungs- und Testphasen in verschiedenen Regionen, unter anderem auch in der Schweiz in Zusammenarbeit mit dem Bodenfruchtbarkeitsfonds.

Parallel dazu sollen Förderer für einen experimentellen Ausgleichsfonds gefunden werden, aus dem dann die beteiligten Betriebe ihre nachgewiesenen Nachhaltigkeitsleistungen bezahlt bekommen.

 

Interessenten können sich unter
info@bodenfruchtbarkeit.bio melden

 

 

 

Christian Hiss Anna 2

Text von: Christian Hiß

 

Christian Hiß ist gelernter Gemüsegärtner und hat einen Masterabschluss in Social Banking and Social Finance. Er gründete die Bürgeraktiengesellschaft Regionalwert AG Freiburg und wurde für sein Engagement mit verschiedenen Ehrungen ausgezeichnet, unter anderem 2009 mit dem Sonderpreis «Social Entrepreneur der Nachhaltigkeit» vom Rat für Nachhaltige Entwicklung und 2011 mit dem Preis «Social Entrepreneur of the Year» von der Schwab Foundation for Social Entrepreneurship. 2020 haben er und die Regionalwert AG den ZEIT WISSEN-Preis «Mut zur Nachhaltigkeit» erhalten. Christian Hiß ist zudem Mitbegründer des Bodenfruchtbarkeitsfonds der Bio-Stiftung Schweiz und Mitglied in dessen Beirat.

Wir freuen uns, wenn Sie diesen Beitrag mit Ihrem Netzwerk teilen!

Von der Wertermittlung zur Wertschätzung bäuerlicher Tätigkeit

Wie können landwirtschaftliche Betriebe nachhaltig arbeiten und gleichzeitig rentabel wirtschaften? Mehr Wertschätzung für die Landwirtschaftliche Arbeit durch Richtig rechnen

Wie können landwirtschaftliche Betriebe nachhaltig arbeiten und gleichzeitig rentabel wirtschaften? Diese Frage mobilisiert derzeit viele, denn zwischen dem realen Preisdruck in der
Lebensmittelbranche einerseits und berechtigten Forderungen nach sozialen, ökologischen und regionalökonomischen Leistungen andererseits besteht ein Spannungsfeld, das sich zu einer gesellschaftspolitischen Kontroverse von enormem Ausmass aufgebaut hat.

Das «immer mehr und immer billiger» im Hinblick auf Lebensmittel hat Schäden hinterlassen, die nicht mehr geleugnet werden können. Abnehmende Humusgehalte, Rückgang der Artenvielfalt, zu hohe Nitratauswaschungen, antibiotikaresistente Keime
in Gewässern, abkoppeln von Quellen vom Trinkwassernetz wegen zu hoher Pestizid- und Pestizidabbaustoffbelastungen sind Beispiele dafür, welche Kosten und Risiken bisher
nicht in den Bilanzen der Verursacher abgebildet werden.

Das Gleiche gilt auch für die erbrachten Mehrwerte, die von Landwirtinnen und Landwirten zwar erbracht, aber bislang in der betrieblichen Buchhaltung nur im Aufwand aber nicht auf der Ertragsseite in Erscheinung treten. Es wird im Zusammenhang dieser Kontroverse viel von ‹Wertschätzung› gegenüber den Lebensmitteln und der Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte gesprochen. Ein durchaus richtiger Ansatz, doch wie kann ‹Wertschätzung› praktisch bewerkstelligt werden, wenn der betrieblichen Erfolgsrechnung die dafür erforderliche Sensibilität fehlt, das heisst, wenn die Werkzeuge fehlen, die erbrachten Leistungen und auch die Verluste in realistischer Weise zu bewerten und in der Erfolgsrechnung abzubilden? Man kann noch so viel Wertschätzung einfordern; am Ende ist entscheidend, wie betriebswirtschaftlicher Erfolg bemessen und errechnet wird.

Solange das Anreizsystem von der maximalen Externalisierung ökologischer und sozialer Risiken, Schäden und Verluste ausgeht, wird sich selbst durch höhere Preise nicht viel ändern; im Gegenteil, die Übernutzung wird sich eher noch beschleunigen.

Es geht also um eine Korrektur der Anreize innerhalb der landwirtschaftlichen Produktion, um den Landwirtinnen und Landwirten den Weg zu einem Richtungswechsel in Richtung nachhaltigem Wirtschaften zu ebnen. Die Anpassung der Erfolgsrechnung, sprich der betrieblichen Buchhaltung und Bilanzierung an die Erfordernisse der Zeit und an die Realität ist die einzige Möglichkeit für eine Befriedung der Situation im Sozialen wie auch gegenüber der Umwelt und Natur.

 

Leistungen sichtbar machen
und kommunizieren

Den landwirtschaftlichen Betrieben müssen Instrumente und Methoden zur Werteermittlung an die Hand gegeben werden, die ihnen ermöglichen, ihre Leistungen für nachhaltiges Wirtschaften sich selbst und der Gesellschaft aufzuzeigen. Die Betriebsleiter müssen lernen, ihre geschaffenen Werte und Leistungen, aber auch Risiken und Schäden zunächst ins eigene Bewusstsein zu heben, dann in die betriebliche Abstraktion aufzunehmen, um schliesslich ihre tatsächlich geschaffenen Werte an die Marktpartner und letztlich an die Gesellschaft heranzutragen und kommunizieren zu können. Das ist die Voraussetzung für eine erfolgsversprechende Einforderung der Wertschätzung und eine leistungsgerechte Bezahlung. Nachhaltiges sowie auch nicht-nachhaltiges Wirtschaften muss sich im betriebswirtschaftlichen Zahlenwerk abbilden, denn wie bekannt, ist das betriebswirtschaftliche Ergebnis von durchschlagender Wichtigkeit bei der Kapitalbeschaffung, der Preisbildung und des gerechten Einkommens der Landwirte und ihrer Familien.

BFF Magazin RichtigRechnen Illu 021220 2 Bearbeitet

Spezifische Bedingungen
der Agrarwirtschaft

Die Bedingungen der Agrarwirtschaft unterscheiden sich grundsätzlich von der Ökonomie anderer Branchen. Im Handelsbetrieb kommt es im Wesentlichen darauf an, Waren einzukaufen und sie ohne weitere Verarbeitung mit wohlkalkulierten Aufschlägen auf den Einkaufspreis wieder zu verkaufen, in der Industrie ist die Stufe der Veredelung von zugekauften Rohprodukten ein zu kalkulierender Posten.

In der Landwirtschaft findet bei der Beschaffung vieler Produktionsmittel vielfach kein Einkauf, sondern die wiederkehrende Nutzung der natürlichen Ressourcen statt. Die Eigenart dieser Ressourcen ist, dass sie den Gesetzmässigkeiten des Lebendigen unterliegen. Das bedeutet, dass sie zwar grundsätzlich unerschöpflich sind, aber nur, wenn diese Gesetzmässigkeiten des Lebendigen bei der landwirtschaftlichen Produktion ausreichend berücksichtigt werden. Eine andauernde Nutzung entgegen dieser Gesetzmässigkeiten und ohne Phasen der Regeneration und des Aufbaus führt dazu, dass deren Leistungsfähigkeit kontinuierlich abnimmt. In der Bilanz werden die natürlichen Ressourcen des Produktionsstandortes wie die Fruchtbarkeit der Böden, die Erhaltung der Artenvielfalt oder die Reproduktionsfähigkeit der Nutzpflanzensorten momentan in keiner Weise berücksichtigt bzw. sie werden gleich null gesetzt, obwohl sie zum Wirtschaftskapital eines landwirtschaftlichen Betriebes zu zählen sind. Die gegenwärtige Erfolgsrechnung mit ihren Methoden und Instrumenten ist somit klar unzureichend, weil sie die spezifischen Bedingungen der Agrarwirtschaft nicht berücksichtigt und daher zu ungenauen, in vielerlei Hinsicht auch zu falschen Ergebnissen führt.

 

Das Projekt «Richtig Rechnen»
in der Landwirtschaft

Die Regionalwert AG Freiburg führte in den vergangenen Jahren verschiedene Projekte zur Ausarbeitung von Methoden und Instrumenten zur Erfassung, Bewertung und Bilanzierung von sozialen, ökologischen und regionalwirtschaftlichen Leistungen in der Landwirtschaft durch. Im Projekt «Richtig Rechnen in der Landwirtschaft» wurden vier Betriebe aus der Region Freiburg über ein Geschäftsjahr erfasst und bewertet. Es waren drei Demeterbetriebe unterschiedlicher Ausrichtungen und ein konventioneller Gemüsebaubetrieb dabei.

Im Erfassungsinstrument, das von den Betriebsleitern ausgefüllt wird, sind die Eingabewerte klar definiert, damit die Daten richtig erfasst werden und somit vergleichbar und bewertbar sind.

Die Auswertungen ergaben jeweils die Summe der monetarisierten Nachhaltigkeitsleistungen der vier am Projekt beteiligten Betriebe und die Anteile an den erfassten Leistungen in den verschiedenen Kategorien (Fachwissen, Gesellschaftliches Engagement, Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Tierwohl, Wirtschaftliche Souveränität, Regionale Wirtschaftskreisläufe, soziale Verantwortungsübernahme u.a.).

Die konventionelle Gemüse-Gärtnerei hat bei einem Gesamtumsatz von ca. 600.000 € insgesamt Mehrwerte von 22.184 € in den oben genannten Bereichen geschaffen. Davon gehen 29% auf die Kategorie «Wirtschaftliche Souveränität» zurück, das heisst für die Leistungskennzahlen in dieser Kategorie wurde ein Mehrwert von 6.433 € berechnet . Der Grund für diesen Mehrwert liegt in seiner vielfältigen Lieferanten- und Kundenstruktur und weil er alle seine Produkte in der Region vermarktet. Da der Betrieb ein breites Spektrum an Gemüsearten anbaut und Blühstreifen anlegt, schneidet er bei Biodiversität mit 31% und 6.877 € ebenfalls relativ gut ab.

SchemaVorgehensw

Der Demeter-Gemüsebaubetrieb erbrachte Nachhaltigkeitsleistungen in Höhe von 69.734 € nach der ‹Richtig rechnen-Methode› und damit ca. 15% Mehrwert auf seinen Gesamtumsatz. Dieser Betrieb zeichnet sich in vielen Bereichen gleichmässig stark aus. Der Erhalt von Fachwissen, der Anbau samenfester Sorten und ein hoher Anteil an Direktvermarktung sind besondere Merkmale.

Der biologisch-dynamisch arbeitende Obstbetrieb mit zusätzlichem Gemüseanbau und Legehennenhaltung schafft einen Nachhaltigkeitsmehrwert von ca. 156.000 €,
das etwa 8,5% seines Gesamtumsatzes entspricht. Seine sozial-ökologischen Leistungen sind in den Bereichen Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität besonders stark.

Der Gemischtbetrieb ist ein Demeter-Hof im südlichen Schwarzwald, der seit Jahrzehnten ganzheitlich wirtschaftet und entgegen aller Spezialisierungstendenzen den landwirtschaftlichen Organismus praktiziert. Würden seine sozial-ökologischen Leistungen in Höhe von 155.332 € vergütet werden, entsprächen sie knapp 18% seines Jahresumsatzes und gut 40% seines Umsatzes aus eigener Produktion (inkl. sozial-ökologischen Leistungen).

Die Ergebnisse der vier Projektbetriebe zeigen, dass wenn ein Betrieb viele sozial-ökologische Leistungen erbringt, sich dies auch in der monetären Bewertung nach ‹Richtig rechnen› wiederfindet. Für alle vier Betriebe zusammen wurde 403.348 € an Mehrwerten errechnet, was im Durchschnitt 10,2% am kumulierten Gesamtumsatz der vier Betriebe ausmacht – bzw. 12,5% am Umsatz aus Eigenproduktion, das heisst ohne Zukauf von Handelsware.

 

Wie geht es weiter?

Aus den Projekten sind bisher zwei Instrumente entstanden – die Regionalwert Nachhaltigkeitsanalyse und der Regionalwert Leistungsrechner. Während die Analyse dem Betrieb sein Wirtschaften in Bezug auf soziale, ökologische und regionalökonomische Leistungen und Risiken in fünf Stufen auswertet, rechnet der Regionalwert-Leistungsrechner sämtliche erfassten Leistungen in Geldwerte um. Beide sind auf der Internetseite www.regionalwert-leistungen.de durchführbar.

Eine offene Frage bleibt noch, woher das Geld, das die Betriebe zur Finanzierung des Aufwands für die Schaffung des Mehrwertes brauchen, kommen könnte. Hierzu gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, deren Ausarbeitung nicht Gegenstand des Projektes war, die aber in nachfolgenden Projektschritten angegangen werden sollen.

Perspektivisch lassen sich grob folgende Varianten aufzeigen:

 

a) Ausgleich über Zahlungen aus öffentlichen und privaten Geldern, dabei könnten Einzahlungen für Schäden und Risiken den Auszahlungen für Leistungen gegenüberstehen, oder es werden die Ausgleichszahlungen für eine leistungsorientierte Vergütung verwendet.

 

b) Neukalkulation der Produktpreise auf Basis der Bewertung von Leistungen und Risiken zur Nachhaltigkeit.

 

c) Über Zuschreibungen, Abschreibungen und Risiko-
rückstellungen in der Bilanz mit ihrem langfristigen korrigierenden Einfluss auf die Unternehmenssteuerung und schliesslich.

 

d) Eine spezifische Berücksichtigung bei der steuerlichen Taxierung des sozial-ökologischen Betriebsergebnisses.

 

Zur Validierung der errechneten Zahlen und zur Verbreitung der Methoden und Instrumente plant die Regionalwert AG Freiburg weitere Entwicklungs- und Testphasen in verschiedenen Regionen, unter anderem auch in der Schweiz in Zusammenarbeit mit dem Bodenfruchtbarkeitsfonds.

Parallel dazu sollen Förderer für einen experimentellen Ausgleichsfonds gefunden werden, aus dem dann die beteiligten Betriebe ihre nachgewiesenen Nachhaltigkeitsleistungen bezahlt bekommen.

 

Interessenten können sich unter
info@bodenfruchtbarkeit.bio melden

 

 

 

Christian Hiss Anna 2

Text von: Christian Hiß

 

Christian Hiß ist gelernter Gemüsegärtner und hat einen Masterabschluss in Social Banking and Social Finance. Er gründete die Bürgeraktiengesellschaft Regionalwert AG Freiburg und wurde für sein Engagement mit verschiedenen Ehrungen ausgezeichnet, unter anderem 2009 mit dem Sonderpreis «Social Entrepreneur der Nachhaltigkeit» vom Rat für Nachhaltige Entwicklung und 2011 mit dem Preis «Social Entrepreneur of the Year» von der Schwab Foundation for Social Entrepreneurship. 2020 haben er und die Regionalwert AG den ZEIT WISSEN-Preis «Mut zur Nachhaltigkeit» erhalten. Christian Hiß ist zudem Mitbegründer des Bodenfruchtbarkeitsfonds der Bio-Stiftung Schweiz und Mitglied in dessen Beirat.

Wir freuen uns, wenn Sie diesen Beitrag mit Ihrem Netzwerk teilen!